Kopf der Woche
Conrad Engler, der Bier-David aus Engelberg
Ein Mann bringt das holländische Bier-Establishment zum Schäumen und die Engelberger Markenexperten zum Träumen: Conrad Engler aus Engelberg fordert den Weltkonzern Heineken heraus, indem er die wohlschmeckende Antipode «Keineken» lanciert, um so gegen die Eichhof-Übernahme im Jahr 2009 zu protestieren. Heerscharen von Heineken-Juristen bringen «Keineken» zwar zu Fall – sind aber unfreiwillig Geburtshelfer des exklusiven «Engelberger Klosterbräu». Der gleichnamige Trägerverein feiert am 1. August 2012 seinen zweiten Geburtstag. Bis jetzt wurden 25’000 Flaschen des erfrischenden Gerstensafts verkauft.
Kommunikationsexperten hantieren gerne mit dem Begriff Storytelling, ohne eigentlich zu wissen, was damit gemeint ist. Volià: Wir haben eine Geschichte, die einfach wunderschön zum helvetischen 1. August und damit zu Unabhängigkeit und Freiheit passt. Es ist jene vom (vielzitierten) David gegen Goliath. David, das ist Conrad Engler, Jahrgang 1955, von Beruf Kommunikationschef des nationalen Spitalverbandes H+, wohnhaft in Engelberg – und berufener Bier-Geniesser.
Eines Tages im Jahr 2008 muss er feststellen, dass sein geliebtes traditionelles Luzerner Eichhof-Bier an den holländischen Bier-Goliath Heineken verkauft wurde. Einfach so? Aus der Sicht der Mergers-&-Acquisitions-Gilde folgerichtig, aber aus Innerschweizer Optik und Englers Perspektive eindeutig «so nicht». Kurzerhand organisiert Engler eine Protestbewegung, lanciert das Gegenbier «Keineken» und ruft so eine Armada von Heineken-Juristen auf den Plan, die per Gerichtsentscheid durchdrücken, dass das «Keineken» nicht unter die durstige Fangemeinde gebracht werden darf. Damit das auch wirkt, steht bei Engler in Engelberg bald die Polizei vor der Tür und beschlagnahmt, was das Bier hergibt – Gerstensaft in Flaschen, Verpackungen und Gläser.
Ein Problem für den Bier-David? Mitnichten. Im Gegenteil. Kurz entschlossen entsteht in Phase I das «(B)Engel-Bräu» und in Phase II das «Engelberger Klosterbräu». Gebraut wird mit Engelberger Quellwasser bei der Brauerei Luzern AG, die das übrigens hervorragend macht. Distribuiert wird das Bier u. a. über den Getränkeshop Robi Banz GmbH, die Schaukäserei Engelberg und mehrere Detailhändler. Es ist in fast allen Engelberger Gaststätten erhältlich. Und gestützt und flankiert wird das Unternehmen vom Verein Engelberger Klosterbräu mit seinen über 200 Mitgliedern (wohl bald der grösste Verein in Engelberg) und mit Statuten – ganz, wie es sich gehört. Alles in seiner Form und hochoffiziell.
Die ganze Geschichte zeigt einmal mehr, was passiert, wenn die Krisenkommunikation in die Hände von Amateure gerät und wenn ergo Spatzen unter Kanonenbeschuss geraten: Die Story fand weltweit Beachtung, und Heineken stand in Sachen Image irgendwie schräg in der Landschaft. Dazu haben auch die sozialen Medien beigetragen, die Kommunikationsprofi Engler geschickt zu nutzen wusste. Allein die Facebook-Seite hatte auf einen Schlag mehr als tausend Likes. Den klassischen Medien blieb nichts anderes übrig, als darüber zu berichten – in Holland waren die Artikel dazu übrigens ein Renner. Studenten wiederum nahmen die Geschichte zum Anlass, eine Arbeit darüber zu verfassen – ein Multiplikator-Effekt mehr.
Eigentlich wäre die Sache kommunikativ ganz einfach zu erledigen gewesen: Heineken trifft Engler – bei einem Bier, selbstverständlich. Und die Sache wäre vom Tisch gewesen. Ein Nebeneffekt der schönen Geschichte: Engler rührt für Engelberg die Werbetrommel und macht das liebliche Klosterdorf zum Asterix-Gallien in der niederländischen Bier-Besatzungszone.
Conrad Engler hat Germanistik, Romanistik und Anglistik studiert (lic. phil. I), hat sich am Institut für Journalistik an der Uni Fribourg und am MAZ weitergebildet und über 20 Jahre als Journalist und Redaktor gearbeitet, bis er in den PR-Bereich wechselte. Er war u. a. Inlandredaktor beim «Oltner Tagblatt», Redaktor bei der «Basler Zeitung», stv. Chefredaktor der «Coop Zeitung» und Informationschef von Interpharma, Basel. Der Mann versteht sein Metier – auch wenn mitunter Bierideen auf der Agenda stehen ...
Hier das PDF. Mit der ganzen Geschichte.