Kunst & Kultur
Jos Näpflin
Seine neue Einzelausstellung im Nidwaldner Museum versieht Jos Näpflin mit dem Titel «The Black Box Box». Ein dunkler Raum, ein Datenspeicher, ein komplexes System, Ungewisses, Unsicherheit, aber doch oder zumindest vermeintlich Kontrollierbares.
Seine neue Einzelausstellung im Nidwaldner Museum versieht Jos Näpflin mit dem Titel «The Black Box Box». Ein dunkler Raum, ein Datenspeicher, ein komplexes System, Ungewisses, Unsicherheit, aber doch oder zumindest vermeintlich Kontrollierbares. Die Black Box meint in der Systemtheorie allgemein ein Objekt, des- sen innerer Aufbau oder Funktionsweise nicht bekannt oder nicht von Interesse ist. Im Flugwesen dient die «schwarze Kiste» als Speichergerät, das die verschie- denen Daten eines Flugs aufzeichnet und gerade bei der Aufklärung von Flugzeu- gunglücken wichtig ist. Kurzerhand erinnert der Titel auch an den bedeutenden Satz der amerikanischen Schriftstellerin, Verlegerin und Kunstsammlerin Gertrude Stein (1874–1946) «Rose is a Rose is a Rose…». Stein beschäftigte sich mit den Funktionen und der Symbolik von Wörtern. Sie glaubte, diese verwiesen auf nichts Anderes als auf sich selbst, die Wortwiederholung liesse sich unendlich fortführen.
Jos Näpflin versteht und praktiziert Kunst als tägliche Arbeit. Seit den frühen 1980er Jahren geht er weitab von jeglichen Moden und Trends beharrlich seinen eigenen Weg. So schafft er ein reichhaltiges Werk, das sich in bildhaften, skulpturalen und installativen Anordnungen in unterschiedlichen Medien mit Raum, Wahrnehmung, Welt(-geschehen) und letztlich mit der Suche nach Identität auseinandersetzt. Stets greift der Künstler gegenwartsnahe brisante Themen auf, die im Lauf der Zeit noch an zusätzlicher Aktualität gewinnen können. Es sind grosse, allgemeine Fragestellungen, die aber bis ins Private reichen. In seiner aktuellen künstlerischen Praxis setzt sich Jos Näpflin insbesondere mit der Diskrepanz zwischen den Wörtern «Barmherzigkeit» und «Unbarmherzigkeit» auseinander.
«Barmherzigkeit» – der Begriff scheint laut dem Künstler etwas aus der Zeit gefal- len – gilt als eine der wichtigsten Tugenden in verschiedenen Weltreligionen. Dem Glaubenskontext entnommen, setzt Jos Näpflin mit den beiden Termini einmal mehr ein grosses Fragezeichen zum aktuellen Zeitgeschehen. Alle Arbeiten, die jüngst entstanden oder fertiggestellt wurden und in der Ausstellung in Stans zum ersten Mal zu sehen sind, kreisen um diese zwei Begriffe. Dabei klingen ebenso weiterführende Themen wie Demokratie, menschliche Existenz oder physische und psychische Grenzen an. Die «Black Box» meint in diesem Zusammenhang nicht nur ein komplexes System im technischen Sinn, sondern steht ebenso sinn- bildlich für den Menschen oder die Gesellschaft als solches.
Seine Ideen entwickelt und konkretisiert Jos Näpflin in aufwendigen Arbeitsprozes- sen im Atelier mittels gezielt ausgewählter Materialien. Seien es Gebrauchsgegen- stände – wie Wecker, Messer, Spanngurte – oder speziell angefertigte Objekte, sie alle werden in Jos Näpflins Arbeiten zu Botschaftsträgern und führen bei Be- trachterinnen und Betrachtern nicht selten zu Irritationen. Es handelt sich um Mo- delle des Realen ohne Vorkommen in der Wirklichkeit. Die Titel, die er seinen Werken gibt, eröffnen dabei einen weiteren oder zusätzlichen Gedankenraum: So bewegt sich die Arbeit «Spiel Rekonstruktion (Diskrepanz 1956–2020)» zwischen Kampf und Hilfeleistung und lotet den Prozess der Identitätsbildung von der Kind- heit bis zum Erwachsenenalter aus. «SPLITTEN», 2020, spricht nur formal die US- mexikanische Grenze an, verweist darüber hinaus aber auch auf die eigene(n) per- sönliche(n) Grenze(n). «Schutzwolke», 2019, versammelt die Weltreligionen unter einem Dach, während «LOT», 2020, auch als Sinnbild für Demokratie verstanden werden darf.
Zur Ausstellung erscheint im Verlag Scheidegger & Spiess die Publikation «Jos Näpflin. The Black Box Box». Erstmals wird damit Jos Näpflins gesamte Schaf- fenszeit abgedeckt. Der Katalog dokumentiert die Ausstellung und verortet durch die Wiedergabe ausgewählter früherer Arbeiten gleichzeitig das bisherige Schaf- fen des Künstlers im Hier und Jetzt. Unterschiedliche Autorinnen und Autoren ana- lysieren in kurzen Texten zu einzelnen Arbeiten das Gesamtwerk des Künstlers. Beitragende Autorinnen und Autoren: Yasmin Afschar, Aargauer Kunsthaus; Ga- briela Christen, Hochschule Luzern; Dorothee Elmiger, Schriftstellerin; Barbara von Flüe, Kolumba Köln; Patrizia Keller, Nidwaldner Museum; Eva-Maria Knüsel, Kunsthaus Langenthal; Daniel Kurjaković, Kunstmuseum Basel; Peter von Matt, Literaturwissenschaftler; Urs Sibler, freier Kurator. Als Insert entsteht eine eigens für den Katalog realisierte Originalarbeit von Jos Näpflin.
Jos Näpflin (*1950 in Wolfenschiessen NW) lebt und arbeitet in Zürich. Sein Schaf- fen wurde in verschiedenen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland präsentiert u.a. bei Counter Space Zürich (2017), Haus Konstruktiv Zürich (2016), sic! Elephanthouse Luzern (2015), Kunstmuseum Luzern (2015), sobering galerie Paris (2014), Aargauer Kunsthaus (2013), Benzeholz – Raum für zeitgenössische Kunst Meggen (2010). Näpflin wurde mehrfach ausgezeichnet, so etwa mit dem Eidgenössischen Preis für angewandte Kunst, dem Unterwaldner Preis für bilden- de Kunst und mehrmals mit einem Werkbeitrag für Bildende Kunst des Kantons bzw. der Stadt Zürich. Seine Werke sind in verschiedenen öffentlichen und priva- ten Sammlungen vertreten. (pd.)
Nidwaldner Museum Winkelriedhaus
Ausstellung: 13. März – 8. August 2021
Eröffnung: Samstag, 13. März 2021, 14 – 19 Uhr, in Anwesenheit des Künstlers, mit «Apéro to go»
www.nidwaldner-museum.ch/ausstellungen/winkelriedhaus