Fokus
Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft halten sich stets die Waage. Schrattenfluh Heftiboden: Bild Martin Mägli
Eine Region legt vor
Die UNESCO Biosphäre Entlebuch wurde im Jahr 2001 von der UNESCO als erstes Biosphärenreservat der Schweiz zertifiziert und gilt spätestens seitdem als Vorbild für nachhaltiges Leben und Wirtschaften. Ihre Geschichte reicht mehr als 30 Jahre zurück.
Alles begann mit dem Volksentscheid zur «Rothenthurm-Initiative» am 6. Dezember 1987, bei der die Entlebucher Bürgerinnen und Bürger wie auch die gesamten Schweizer dem Schutz der heimischen Moorlandschaften zustimmten. Die über Nacht eintretende Wirkung forderte das Entlebuch ernsthaft heraus und setzte zunächst viele Fragezeichen. Die Idee «UNESCO-Biosphärenreservat» kam erst spät, doch stimmte die Entlebucher Bevölkerung dem Antrag an den Gemeindeversammlungen im Jahr 2000 mit über 90 Prozent zu. 2001 erteilte auch die UNESCO mit Sitz in Paris ihren Segen. Die UNESCO Biosphäre Entlebuch war fortan das erste demokratisch legitimierte Biosphärenreservat der Welt.
Ein gesellschaftliches Projekt
Nachhaltigkeit wurde zu einem gesellschaftlichen Projekt: Nutzen und bewusste Beschränkung halten sich die Waage und fördern das permanente Überdenken sowie das «sich ständig neu erfinden». Change- und Interimsmanagement wurden zunehmend zum regionalen Business der veränderungsbereiten Entlebucherinnen und Entlebucher. Offenbar so erfolgreich, dass die UNESCO, die alle zehn Jahre in Paris einzureichenden «Periodic Reviews», bereits zweimal (2012 und 2022) mit dem Prädikat «Modell-Biosphäre» bewertet hat. Die UNESCO Biosphäre Entlebuch ist eines der renommiertesten Biosphärenreservate der Welt. Darum besuchen jährlich unzählige Regierungsdelegationen, Raumplaner, Entwicklungsmanager, Medien und Wirtschaftsfachleute die Luzerner Region. So, wie die UBE mit ihrem ausgeklügelten Partizipationssystem vielen Interessierten Türen öffnet und sie befähigt, sich selbst zu helfen, ist auch die UBE gezwungen, sich selbst zu helfen. Ihre langjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von Grossschutzgebieten und ruralen Regionen kommt ihr da zugute: Da sich die Leistungen der UBE immer am Wohl, an der Weiterentwicklung und Diversifikation ihrer Region orientieren, hat sich seit Beginn ihres Wirkens ein interessantes und starkes Beziehungsnetz ergeben. Die UBE profitiert von den Erfahrungen ihrer Kontakte auf unterschiedlichen Gebieten und gibt diese an Institutionen in ihrem Aktivitätenfeld weiter. Die UBE leistet daher nicht nur regionale Entwicklungshilfe, sondern steht beispielsweise der Entwicklung der schweizerischen Parklandschaft durch diesen Wissenstransfer regelmässig Pate.
Anerkanntes Nachhaltigkeitsdreieck
Das Nachhaltigkeitsdreieck mit den Teilen Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft ist in der Region anerkannt und unterliegt dem Prinzip der absoluten Gleichberechtigung: Alle drei Teile sind gleich wichtig und kein Teil darf zu Gunsten oder zu Lasten eines anderen Teils verändert werden. In diesem Bewusstsein begleitet und steuert die UNESCO Biosphäre Entlebuch regionale und wirtschaftliche Veränderungsprozesse und sieht nicht Risiken, sondern Chancen. Das Miteinander und das gemeinsame Engagement dienen der nachhaltigen Entwicklung. In allen Bereichen der regionalen Entwicklung werden Synergien und Kooperationen gesucht und genutzt. Entstanden ist über die Jahre ein vielfältiges Netzwerk, das Sport, Aktivitäten, regionale Kulinarik, Kultur und vor allem Bildungs- und Informationsangebote zusammenbringt.
17 Nachhaltigkeitsziele
Damit sich alle diese Ansprüche im Einklang mit der Umwelt entwickeln können, braucht es eine stabile Basis. Die UNESCO Biosphäre Entlebuch stützt sich seit deren Lancierung auf die 17 Nachhaltigkeitsziele der UNO: Die massvolle Förderung der regionalen Wirtschaft und eine vielfältige Produktepalette unter dem geschützten Namen «Echt Entlebuch» sorgen dafür, dass Arbeitsplätze, Knowhow und Wertschöpfung im Tal bleiben.
Dafür, dass es dem Entlebuch gelang, sein Schicksal selbst in die Hände nehmen zu können, reichten aber wirtschaftliche Justierungen allein nicht aus. Ein Schlüssel liegt im Mut zu Kreativität und Originalität. In unregelmässigen Abständen gelingt es der Region mit humoristischen Aktionen auf sich aufmerksam zu machen und sich durch das Schmunzeln der Passanten Sympathien zu sichern: Sei es eine halblegal in der Luzerner Innenstadt platzierte Sitzbank als Kontrapunkt zu den vom Stadtrat in Erwägung gezogenen ausländischen «Plastikhaufen» oder eine aufsehenerregende, deutschlandweite Kommunikationsaktion mit Ausserirdischen. Das Entlebuch steht für eine neue Dimension: ein bisschen schräg, ein bisschen laut, aber immer bodenständig und im Sinne der Biosphären-Idee.
«Mister Biosphäre»
Nicht anders deren Direktor Theo Schnider, der über die Schweiz hinaus als «Mister Biosphäre» bekannt ist. Der Entlebucher Netzwerker begleitet und prägt die Modellregion seit der ersten Sekunde. Im Tourismus gilt Nachhaltigkeitspionier Schnider schon längst als einer der tonangebenden Nachhaltigkeitsspezialisten. Kein Wunder findet man das Entlebuch im Nachhaltigkeitsprogramm Swisstainable von Schweiz Tourismus auf der höchsten Levelstufe. Mit Biss und Originalität vermittelt Schnider seit über 20 Jahren zwischen unzähligen Ansprüchen, Interessen und Wünschen, zwischen Branchen und Interessengruppen, zwischen Stadt und Land, zwischen Wirtschaft und Umwelt und verschafft damit einer ganzen Region ein unschätzbar wertvolles Profil.
Allein reichten demokratische Legitimation oder Umtriebigkeit von Exponenten allerdings nicht aus. Wesentlichen Anteil am guten Verständnis hat zum Beispiel die Landwirtschaft. Diese leistet seit Jahren enorm wichtige Beiträge an die Verbesserung der ökologischen Infrastruktur, der Vernetzung von Landschaftsräumen für (Klein-)Lebewesen und an Erhalt und Förderung der Biodiversität. Mittlerweile ist praktisch flächendeckend die ganze Entlebucher Landwirtschaft in Vernetzungsprojekten engagiert. Ein Zustand, von welchem viele Regionen und Städte träumen.
Dem verständnisvollen Miteinander von Landwirtschaft und Forschung ist es zu verdanken, dass der Spagat zwischen «Schützen und Nützen» gelingt: Das gemeinsame Nachdenken über den Wert und die Hege des eigenen Lebensraums begünstigt den Erhalt der wertvollen Lebensgrundlagen. Denn nur im Dialog zwischen Wissenschaft, Grundeigentümern und Biosphäre werden Aufwertungen und Renaturierungen möglich.
Wissenschaft im Rücken
Und die Wissenschaft liebt die UNESCO Biosphäre Entlebuch: Diese ist Lieferant wichtiger Forschungsdaten über mehrere Vegetations- und Schutzzonen hinweg. Eingebettet neben dem eidgenössischen Jagdbanngebiet Tannhorn, vis-à-vis einer einzigartigen Karstlandschaft im Gebiet Schrattenfluh/Hohgant und zahlreichen intakten und einladenden Auenlandschaften entlang der Gewässerläufe, finden sich in der UNESCO Biosphäre Entlebuch noch immer die grössten Moorlandschaften der Schweiz.
Die UNESCO Biosphäre Entlebuch vertreibt über ihre eigene Vertriebsplattform «Biosphären Markt AG» über 550 hochqualitative Regionalprodukte. Deren Zertifizierung bestätigt Regionalität hinsichtlich Rohstoffen und Produktion: Je 80 Prozent aller Zutaten und des gesamten Produktionsprozesses müssen in der UNESCO Biosphäre Entlebuch wachsen, respektive erfolgen. So bleibt Wertschöpfung in der Region und sichert Arbeitsplätze. Für einen effizienten Mitteleinsatz steht der «Marketing-Pool», der die Marketingmittel der fünf grössten regionalen Tourismusanbieter bündelt, Synergien nutzt und eine gezielte Vermarktung überhaupt erst ermöglicht.
Mittlerweile ist die UNESCO Biosphäre Entlebuch schweizweit grösster Anbieter von Natur-Exkursionen und unterhält ein breites Bildungs- und Exkursionsprogramm. Im vielseitigen Kontakt lernen Gäste die besonderen Ausgangslagen dieser schönen Region kennen und können ein Verständnis dafür entwickeln. Auch dieses gehört zum nachhaltigen Umgang miteinander, denn im Dialog erweist sich manches plötzlich als einleuchtend.
Und dass die UNESCO Biosphäre Entlebuch ihren Beitrag an die Energiestrategie 2050 und zur Bewältigung des Klimawandels leistet, ist ebenfalls seit langem klar. Sämtliche erneuerbaren Quellen werden genutzt, um die Produktion klimafreundlicher Energie schnell voranzutreiben. (red.)